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Tobias Zoporowski

Praxisratgeber Klassikerkauf

Mercedes-Benz
190 (W 201)

Alle Modelle von 1982–1993

HEEL

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© 2017: HEEL Verlag GmbH, Königswinter

Verantwortlich für den Inhalt: Tobias Zoporowski

Lektorat: Jost Neßhöver

Satz und Gestaltung: HEEL Verlag GmbH, Stefan Witterhold

Fotos: Tobias Zoporowski, Daimler AG, Jörg Hajt, Nenad Blagojevic, Jost Neßhöver

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks, der Wiedergabe in jeder Form und der Übersetzung in andere Sprachen, behält sich der Herausgeber vor. Es ist ohne schriftliche Genehmigung des Verlages nicht erlaubt, das Buch und Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer bzw. mechanischer Systeme zu speichern, systematisch auszuwerten oder zu verbreiten. Ebenso untersagt ist die Erfassung und Nutzung auf Netzwerken, inklusive Internet, oder die Verbreitung des Werkes auf Portalen wie Googlebooks.

Alle Angaben ohne Gewähr, Irrtümer vorbehalten

Druck und Verarbeitung: D+L Reichenberg GmbH, Bocholt

Printed in Germany

ISBN: 978-3-95843-421-9

Inhalt

Einleitung – „Kleine“ Revolution

1. Der richtige Wagen?

2. Kosten

3. Leben mit einem W 201

4. Relative Werte

5. Vor der ersten Besichtigung

6. Inspektionsausrüstung

7. 15-Minuten-Prüfung

8. Problemstellen

9. Realistische Bewertung

10. Auktionen – ein anderer Weg zum Traumwagen

11. Papiere für eine vollständige Dokumentation

12. Wie viel ist er wert?

13. Restaurieren – ja oder nein?

14. Lackprobleme

15. Konditionsprobleme

16. Wichtige Adressen und ­Ansprechpartner

17. Daten und Fakten

Einleitung – „Kleine“ Revolution

Mit der Einführung der Baureihe 201 – landauf, landab unabhängig von der Motorisierung schlicht „190er“ genannt – betraten die Schwaben Neuland: Ein derart kompaktes Fahrzeug hatte es von Mercedes-Benz zuvor nicht gegeben. Zudem war der „Baby-Benz“ – amerikanische Motorjournalisten hatten ihn so getauft – Vorbote einer neuen Formensprache „beim Daimler“, weg vom barocken Chromschmuck und steil im Wind stehenden Kühlern.

Stilistisch traute man sich nun durchaus Mode, verzichtete – mit Ausnahme des weiterhin chromumrahmten Kühlergrills – komplett auf glänzenden Zierrat und unterwarf die neue Fahrzeuggeneration gar konsequent den Gesetzen des Windkanals, wovon unter anderem nunmehr bündig geklebte Front- und Heckscheiben kündeten. Auch die „Nase“ neigte sich schnittig nach hinten.

Über das recht hoch abschließende Heck, das die Keilform des Neulings betonte, mochten Ästheten die Nase rümpfen, selbstverständlich diente aber auch dies der optimierten Aerodynamik, war also in den Augen der Ingenieure schlicht notwendig gewesen.

Ebenso stand eine kompromisslose „Benzigkeit“ des neuen Sternenkindes im Lastenheft, der W 201 war ein Mercedes durch und durch. Die ingenieurhaft-unerschütterliche Solidität, die seine Entwickler in ihn hineinkonstruierten und die den 190er bis heute zu einem der höchstwertigen Fahrzeuge der Achtzigerjahre macht, lässt in jeder Schraube das Bemühen erkennen, dass man sich das für den Hersteller neue Segment der unteren Mittelklasse nicht nur erschließen, sondern erobern wollte.

Was auch gelang: Zeitweise belegte der W 201 die vorderen Plätze in der Zulassungsstatistik gleich hinter den Bestsellern VW Golf und Opel Kadett, die eine ganze Fahrzeugklasse unter ihm rangierten. Einen großen Anteil daran hatte sicherlich das ausnehmend komfortable und enorm spurstabile Fahrwerk, das diese Eigenschaften der seinerzeit sehr aufwändigen Raumlenkerhinterachse mit mehrstrebiger Radführung verdankte.

Diese Achskonstruktion wurde später in alle Mercedes-Benz, zunächst in den ab 1984 angebotenen W 124, übernommen. In dieser Hinsicht diente in der Tat erstmals das Einstiegsmodell eines Herstellers als Technologieträger, nicht wie bisher das obere Ende des Modellprogramms.

Mit dem VW Golf der zweiten Generation teilt sich der Mercedes W 201 als angehender Klassiker durchaus einige Attribute. Er ist grundsolide, fast bis zur Selbstvergessenheit zuverlässig, reparaturfreundlich, auch heute noch wirtschaftlich zu fahren und im Alter fast so klassenlos, wie es der kompakte Wolfsburger immer war. In einem gepflegten Mercedes 190 sieht man auch heute noch sehr gut angezogen aus, egal, ob man vor der Oper oder der Uni parkt.

Die große Ausstattungs- und Motorenvielfalt lässt Raum für alle Geschmäcker, ob gemütlicher Saugdiesel oder ambitionierter Sportler, alles ist verfügbar. Und das zu überwiegend moderaten Preisen, ein Hochpreisklassiker ist der 201er nicht. Das würde auch nicht zu seinem bodenständigen Naturell passen.

Wer einen Baby-Benz für den Alltagseinsatz sucht, sollte sich vor allem unter Fahrzeugen ab Baujahr 1988 umsehen. Mit der großen Modellpflege wurde die Rostvorsorge signifikant verbessert, und es gab zahlreiche Detailänderungen, die den bis dato kleinsten Benz auch heute noch zeitgemäß wirken lassen. Frühe Exemplare locken dafür mit dem H-Kennzeichen und mitunter noch schrilleren Lackfarben.

In allen Varianten, egal mit welcher Motorisierung und ob als frugales Buchhaltermodell oder späte „Avantgarde“-Sonderedition mit modisch gefärbten Ledersitzen, werden Sie etwas verspüren, was es so heute nicht mehr gibt – das Gefühl, ein Fahrzeug zu bewegen, das offenkundig ohne Rotstifteinsatz und mit dem unbedingten Bestreben nach Langzeittauglichkeit entwickelt wurde. „Das Beste oder nichts“ – vielleicht ist der W 201 der letzte Mercedes-Benz, der diesem Slogan wirklich gerecht wird, aber den Ruf teilt er bekanntlich mit mehreren Sternbaureihen.

Das war noch ein Gesicht! Obschon windkanaloptimiert und leicht nach hinten geneigt, zeigt der chromumrandete Kühlergrill das klassische Markenantlitz.

Mit seiner leichten Keilform nahm der W 201 das Markendesign der Folgejahre vorweg. Vor allem der Verzicht auf den bis dato üblichen Chromschmuck war unerwartet modern.

Exemplare der zweiten Serie ab 1988 gelten als rostresistenter. Die umfangreiche Motorenvielfalt (links ein Zweiliter-Benziner, rechts ein 2,5-Liter-Saugdiesel) blieb.

Das ungewohnt hohe Heck gefiel anfangs nicht jedem, es war ebenfalls dem Windkanal geschuldet. Den Traditionalisten blieben allerdings die typischen Riffelglas-Heckleuchten erhalten.

1. Der richtige Wagen?

Alltagstauglichkeit

Jeder Mercedes der Baureihe W 201 ist – regelmäßige Wartung und Pflege vorausgesetzt – bestens alltagstauglich. Weder für die frühen Vergasermodelle (190 ohne „E“) noch die Diesel aber gibt es die grüne Feinstaubplakette. Erstere rettet inzwischen das H-Kennzeichen, für letztere gibt es (allerdings recht kostspielige) Nachrüstlösungen.

Die schlicht und schnörkellos gezeichnete Karosserie sieht auch drei Jahrzehnte später nicht alt aus. Benziner mit Kat – dieser war ab Produktionsbeginn für alle Einspritzmotoren erhältlich, später serienmäßig – bekommen ausnahmslos die grüne Feinstaubplakette. Mit einem nachgerüsteten Kaltlaufregler halbiert sich die Steuerlast.

Platzangebot

Der W 201 ist prinzipiell als fünfsitzige Limousine ausgelegt. Vorn geht es geräumig und sehr behaglich zu. Die Sitzplätze im Fond, vor allem was die Beinfreiheit angeht, wurden indes stets als deutlich zu knapp kritisiert. Mit Recht. Auch die große Modellpflege 1988 brachte nur wenig Besserung. Der Hersteller selbst parierte derartige Kritik stets mit dem Hinweis, dass es sich schließlich um ein „Kompaktfahrzeug“ handele. Nun ja. Rückblickend darf man das schmunzelnd zur Kenntnis nehmen.

Während das Platzangebot vorn auf breiten – und nach der Modellpflege 1988 deutlich besseren – Sitzen auch für groß gewachsene Passagiere sehr gut ist, wird es im Fond recht knapp. Zeitlebens ein (berechtigter) Kritikpunkt am 190er.

Bedienbarkeit

Die Servolenkung sorgt in Verbindung mit dem herstellertypisch großen Lenkrad im Schiffsruderformat für sehr geringe Bedienkräfte. Achtung: Im Gegensatz zu allen anderen Mercedes-Modellen jener Tage, die über eine Fußfeststellbremse verfügten, hat der W 201 einen konventionellen Handbremshebel auf dem Mitteltunnel. Alle Kontrollleuchten, Instrumente und Schalter sind selbsterklärend, auch in gut ausgestatteten Modellen gibt es kein Tastenchaos.

Die Bedienung gab und gibt keine Rätsel auf. Das große Volant sorgt für kinderleichtes Lenken, schubbert großen Fahrern aber mitunter auf den Knien, da die Sitzkonsolen im W 201 ein Quäntchen höher ausfielen als etwa im großen Bruder W 124.

Kofferraum

Mit knapp über 400 Litern Kofferrauminhalt war und ist der W 201 nicht unbedingt ein Auto für die ganz große Reise. Alltagstauglich ist er aber allemal. Nach heutigen Ergonomie-Maßstäben liegt die Ladekante sehr hoch, eine umklappbare Rückbank gab es nicht. Dafür ist das Ladeabteil recht tief und verfügt an beiden Seiten über zusätzliche Fächer für Kleinkram.

Die Ladekante fiel sehr hoch aus, was nach heutigen Maßstäben nicht unbedingt bequem ist. Das hohe Heck ermöglichte indes einen tiefen Kofferraum, der mit knapp über 400 Liter Volumen als ausreichend groß zu bezeichnen ist. Unter der stabilen Bodenklappe befinden sich das Reserverad und das Werkzeug.

Platzbedarf/Garage

Die Bezeichnung Kompaktfahrzeug relativiert sich angesichts der Länge von knapp über 4,40 Metern. Im Vergleich zu einer aktuellen C-Klasse ist der W 201 dennoch geradezu zierlich, er ist auch nur knapp 1,70 m breit. So findet er in wirklich jeder Normgarage genügend Raum. Auch die Parkplatzsuche gestaltet sich entspannt.

Laufende Kosten

Betriebs- und Unterhaltskosten eines W 201 hängen natürlich stark mit der gewählten Motorisierung zusammen. Gerade die Dieselmotoren werden mit Steuerforderungen in schmerzhafter Höhe gestraft. Für die sportlichen 2.3-16-, 2.5-16- oder die exklusiven Evo-Modelle sind die Versicherungseinstufungen nicht zu verachten. Die bodenständigen Benziner mit 1,8 und zwei Litern Hubraum, die das Gros der Gebrauchten darstellen, sind recht günstig im Unterhalt. Durch den Einbau eines Kaltlaufreglers halbiert sich die Steuerlast.

Ersatzteile

Heute bestellt, morgen geliefert: Das gilt für jeden Mercedes-Vertragshändler und für im Grunde jedes benötigte Teil. Teils günstiger und meistens nicht schlechter liefert der gut sortierte freie Ersatzteilmarkt. Viele Anbieter haben sich auf die Baureihe spezialisiert, halten gebrauchte und Repro-Neuteile zu fairen Preisen parat. Als erste Adresse gilt das werkseigene Gebrauchtteile-Zentrum (MBGTC), wo es grundüberholten Ersatz mit Garantie gibt. Längst haben sich auch Schrotthändler auf Mercedes-Baureihen spezialisiert.

Versicherung

Auch, was die Versicherungseinstufung anbetrifft, gilt: Die Brot-und-Butter-Modelle fahren günstig. Exklusive Varianten („Evo I + II“) sind in anderen Sphären unterwegs, werden allerdings auch kaum mehr im Alltag bewegt. Da frühe 201er inzwischen H-Status besitzen und auch späte Modelle längst als Youngtimer anerkannt sind, bieten viele Versicherer (etwa OCC, Zurich, Provinzial) spezielle Klassikertarife an, die sich finanziell lohnen. Im Einzelfall können diese aber an bestimmte Bedingungen (Kilometerbegrenzung, Nachweis eines „Alltagsfahrzeuges“) gekoppelt sein.

Werterhalt