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Alle Angaben ohne Gewähr, Irrtümer vorbehalten.
Printed in Romania
ISBN 978-3-95843-298-7
eISBN 978-3-95843-339-7
INHALT
Vorwort
Die 1940er-Jahre
Geburt einer Legende
Die 1950er-Jahre
Die Vespa erobert die Welt
Die 1960er-Jahre
Neue Modelle retten den Roller
Die 1970er-Jahre
Buntes Programm im Pop-Jahrzehnt
Die 1980er-Jahre
Motoroller werden wieder hip
Die 1990er-Jahre
Die Modernisierungswelle rollt
Die 2000er-Jahre
Mit Schwung ins neue Jahrtausend
Die 2010er-Jahre
Spitzenreiter Piaggio
Index
Bildnachweis
Zweirad mit Kultstatus
Früher als einfaches und preiswertes Fortbewegungsmittel geschätzt, ist die Vespa von Piaggio bald zu einem Kultmobil der Extraklasse geworden. Doch auch heute sind vor allem die geringen Unterhalts- und Fahrtkosten, keine Parkplatzprobleme und keine Angst vor Staus die wichtigsten Argumente zum Kauf einer kleinen „Wespe“. Gerade Vespa-Roller aus den 60er- und 70er-Jahren sind bei den Fans begehrt und werden bei Treffen und den vielen jährlich stattfindenden Ausfahrten gerne gezeigt.
VORWORT
Im Jahr 2016 feiert der Kultmotorroller Vespa seinen 70. Geburtstag. Doch der Start ins Rennen um die Akzeptanz der Kunden war dem ungewohnten Vehikel äußerst schwer gefallen, und das „Nutz-Leichtmotorrad“ hatte zu Beginn viel Mühe, sich Freunde zu machen.
Zuvor wollte Enrico Piaggio nach dem Zweiten Weltkrieg an die Erfolgsgeschichte des Unternehmens anknüpfen, doch die Herstellung von Kochtöpfen und anderen Gebrauchsgegenständen war dem italienischen Unternehmer nicht genug. Denn vor dem Krieg hatte Piaggio Motorboote, Eisenbahnwaggons und Flugzeuge gebaut. Während Italien noch in Trümmern lag, erkannte Piaggio, dass die Menschen ein einfaches und preiswertes, motorisiertes Transportmittel benötigten. Als Enrico Piaggio im Jahr 1944 den Rennfahrer und Motorenliebhaber Graf Carlo Felice Trossi in seinem Schloss in Biella besuchte, war ihm neben einigen außergewöhnlichen Automodellen auch ein unscheinbares Zweirad ins Auge gestochen, der Volugrafo des italienischen Ingenieurs Vittorio Belmondo. Belmondo hatte bereits in den 1930er-Jahren an einem Motorrollerentwurf gearbeitet und schließlich mehrere Prototypen gebaut. Zurück in seiner Firma begann Enrico Piaggio die Rolleridee umzusetzen. Heraus kam der Piaggio MP 5 Paperino. Daraus entwickelte sich bis zum April 1946 die erste Vespa mit selbsttragender Blechkarosserie und Direktantrieb.
In den 1950er-Jahren ging es dann mit dem Erfolg sehr schnell. Dank intensiver Werbung hatte die Vespa auch die hintersten Winkel Europas erreicht, und die Menschen hatten das praktische Fortbewegungsmittel für sich entdeckt. Bereits 1956 war Piaggio der größte Motorradhersteller der Welt und hatte das einmillionste Fahrzeug verkauft.
Inzwischen gehören zum Piaggio-Konzern auch die Zweiradmarken Aprilia, Derbi, Gilera, Laverda und Moto Guzzi. Er produziert in Werken in Italien, Indien, Vietnam und in der Volksrepublik China. Seit dem Jahr 2006 ist das italienische Unternehmen Piaggio an der Börse notiert. Doch auch wenn Piaggio sich von einer italienischen Firma zu einem Global Player entwickelt hat, ist seine Philosophie bis heute gleich geblieben. Die Vespa hat sich trotz großer Konkurrenz, nicht nur aus dem eigenen Haus, vom Konzept her kaum geändert. Auch die neueste Vespa „Azzuro 70“ hat ein Blechkleid mit großen Pausbacken, ganz so wie die Vespa 98 aus dem Jahr 1946. Den Antrieb übernimmt jedoch eine Triebsatzschwinge jüngster Generation.
Mit dem Ziel, die traditionsreiche Geschichte der Vespa-Motorroller und die Entwicklung der vielen Piaggio-Fahrzeuge ins richtige Licht zu rücken, soll dieses Buch ein Leitfaden durch die vielen unterschiedlichen Baureihen sein, die von Piaggio produziert wurden. Viel Spaß beim Schmökern wünscht
Gerhard Siem
DIE 1940ER-JAHRE GEBURT EINER LEGENDE
Als die erste Vespa unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg das Licht der Welt erblickte, war die Firma Piaggio bereits seit 60 Jahren im Bau von Schiffseinrichtungen, Schiffen, U-Booten, Eisenbahngüterwagen, Straßenbahnwagen und Flugzeugen tätig.
Der in Genua geborene Rinaldo Piaggio hatte das Unternehmen in Sestri Ponente, einem Hafenviertel von Genua, als Schreinerbetrieb im Jahr 1884 eröffnet.
Zuvor hatte die Familie Piaggio im Hafenviertel Genuas bereits ein Holzlager unterhalten, das Rinaldos Vater, Cavalier Enrico Piaggio, errichtet hatte. Als das Baumaterial Holz für den Fahrzeugbau langsam vom Stahlblech verdrängt wurde, begann auch die stark gewachsene Firma Piaggio im Jahr 1901 auf das Material umzuschwenken.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erreichte schnell das italienische Unternehmen, in dem man sich bald auf den Bau von Kriegsschiffen spezialisierte. Zugleich wurden Flugzeugmotoren bei Piaggio gewartet und später sogar ganze Flugzeuge gebaut. Das berühmteste Flugmuster war die P.2, ein sehr modernes Jagdflugzeug, von dem ab 1923 nur zwei Prototypen in Italien gebaut wurden. Doch das italienische Luftfahrtministerium misstraute dem Eindecker. So kam es zu keiner Serienfertigung.
Auch nach dem Krieg blieb der Flugzeugbau eine wichtige Einnahmequelle der Italiener, und in den 30er-Jahren errangen Piaggio-Flugmotoren einige Luftfahrtrekorde. An diesen Rekorden hatte ein bekannter italienischer Entwicklungsingenieur großen Anteil – Corradino D’Ascanio. Er war im Jahr 1933 von Piaggio eingestellt worden, um seine Erfahrungen im Flugzeug- und Hubschrauberbau in die Firma einzubringen. Als Rinaldo Piaggio im Jahr 1938 starb, übernahm dessen Sohn Enrico das Weltunternehmen.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die beiden Piaggio-Werke in Pontedera und Pisa durch Bombenangriffe völlig zerstört, und als der Krieg zu Ende war, entschieden die Siegermächte, dass die Italiener keine Rüstungsgüter mehr herstellen durften. Doch was sollte der ehemalige Hersteller von Schienenfahrzeugen und Flugzeugen bauen? Bald war ein neues Werk auf den Ruinen der alten Fertigungshallen errichtet worden und Enrico Piaggio entschied sich, zunächst preisgünstiges Alltagsgeschirr wie Kochtöpfe und Ähnliches zu erzeugen. Doch diese in großer Stückzahl hergestellten Produkte befriedigten den inzwischen zum Firmenchef aufgestiegenen Enrico nicht. Er suchte nach einem Produkt, das dem früheren Großkonzern gerecht werden sollte.
Zu dieser Zeit lag Italien noch in Trümmern. Der Wiederaufbau des Landes hatte gerade begonnen. Zwar war die Arbeitslosigkeit stark zu spüren, doch war auch der Wille zum Aufbau des Landes in den Augen der Menschen zu sehen.
Enrico Piaggio
Enrico Piaggios Vater, Rinaldo Piaggio, gründete im Jahr 1884 die Firma. Enrico wurde im Jahr 1905 in Pegli, einem Stadtteil der italienischen Hafenstadt Genua, geboren. Sein Studium mit einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Universität von Genua schloss er im Jahr 1927 erfolgreich ab. Als sein Vater 1938 starb, erbten er und sein Bruder Armando das Unternehmen. Im Krieg produzierte Piaggio vor allem Rüstungsgüter und stieg in die Flugzeugproduktion ein. Im Jahr 1943 wurde Enrico Piaggio in der Lobby des Hotels Excelsior in Florenz bei einer Schießerei schwer verletzt, und nur durch das Entfernen einer Niere konnte sein Leben gerettet werden.
Als der Krieg zu Ende war, hatte das Unternehmen durch die alliierte Bombardierung stark gelitten. Die Flugzeugherstellung war nun nicht mehr möglich und Piaggio konzentrierte sich auf seine erfolgreichen Zweiräder. Im Jahr 1951 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität von Pisa. Im Jahr 1965 erkrankte Enrico Piaggio schwer und starb zehn Tage nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zu Hause.
Eines der größten Hindernisse für den Wiederaufbau war die schlechte Mobilität der Bevölkerung. Der öffentliche Verkehr lag darnieder, viele Kraftfahrzeuge waren im Krieg geblieben oder reparaturbedürftig zurückgekehrt. Das Fahrrad war das wichtigste Verkehrsmittel dieser Zeit.
So kam Enrico Piaggio auf die Idee, für die Bevölkerung ein Zweirad zu bauen, mit dem man größere Strecken als mit dem Fahrrad bewältigen konnte, das jedoch mehr Komfort bot als ein sportliches Motorrad.
Daraufhin konstruierte der Ingenieur Spolti Renzo zusammen mit seinem Kollegen Vittorio Casini einen Prototypen mit der Bezeichnung MP5 (Moto Piaggio 5) und einem Hubraum von 98 Kubikzentimetern. Doch das Zweirad traf nicht den Geschmack von Enrico Piaggio.
Moto Piaggio Paperino MP5
Die Bezeichnung MP5 stand beim ersten Piaggio-Motorroller für Moto Piaggio 5. Dieses vollverkleidete, mit einem breiten Frontschild ausgerüstete Gefährt aus Stahlblech sollte auf das Wesentliche reduziert sein. Dazu gehörten einfache Bedienelemente am Lenker. Der MP5 war mit einem Einzylinder-Zweitakt-Motor von Sachs bestückt, der ein Automatikgetriebe besaß. Breite Trittflächen mit Gummiauflagen links und rechts der Karosserieverkleidung gaben den Füßen sicheren Halt.
■ Moto Piaggio Paperino MP5
Bauzeit: |
1944 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Sachs-M32-Motor |
Hubraum (cm3): |
98 |
Leistung (PS bei 1/min): |
2,3 bei 3200 |
vmax in (km/h): |
60 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
Stahlblech, zwei zusammenschiebbare Rohre mit Federn, Trommelbremsen |
Moto Piaggio MP6
Da Enrico Piaggio vom Entwurf der Paperino nicht viel hielt, begann Ingenieur Casini erneut Prototypen zu bauen und zwischen Biella und Oropa zu erproben. Bald kristallisierte sich heraus, dass der Prototyp ein ganz anderes Aussehen haben würde als sein Vorläufer. Abgerundete Seitenteile, eine breite vordere Spritzschutzwand, die das Verschmutzen der Kleidung während der Fahrt verhindern sollte, ein weit nach hinten verlegter Motor, der einen bequemen Aufstieg zuließ, und kleine Räder, die das Mitführen eines Reserverads ermöglichten, waren die auffälligsten Merkmale des neuen Entwurfs. Der MP6 war so gut gelungen, dass er fast ohne Änderungen in das Serienprogramm übernommen wurde.
■ Moto Piaggio MP6
Bauzeit: |
1944 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Sachs-Motor |
Hubraum (cm3): |
98 |
Leistung (PS bei 1/min): |
2,3 bei 3200 |
vmax in (km/h): |
60 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
Stahlblech, Stahl-Spiralfedern vorn, Gummifederung an der Triebsatzschwinge, Trommel-bremsen |
Daher beauftragte Piaggio keinen Geringeren als Corradino D’Ascanio damit, das Zweirad-Konzept zu überarbeiten und technisch wie optisch zu verbessern. Der war von dem Auftrag nicht gerade begeistert, hatte er in der Vergangenheit doch Flugzeuge und Hubschrauber konstruiert.
Doch statt den MP5 nach den Wünschen Piaggios zu gestalten, entwickelte D’Ascanio ein völlig neuartiges Fahrzeug mit zwei Rädern und entwarf damit die erste Vespa. Dabei half dem Ingenieur sicherlich, dass er sich mit Motorrädern und anderen Zweirädern nicht auskannte.
Die einzigen Vorgaben für den neuartigen Entwurf waren, dass man bequem sitzen konnte, einigermaßen vor Staub und Dreck geschützt war und der Motor so abgedeckt war, dass der Fahrer mit ihm nicht in Berührung kommen konnte. D’Ascanio wollte ein einfaches Zweirad schaffen, frei nach dem Motto von Henry Ford: „Was nicht da ist, kann nicht kaputtgehen.“
Schnelle Entwicklung des ersten Prototyps
Nun erwies sich als Vorteil, dass D’Ascanio Erfahrung mit so komplexen Dingen wie Hubschraubern hatte. Innerhalb kürzester Zeit war das erste Zweirad als Prototyp fertig und auch die Probleme, die so ein neuartiges Fahrzeug mit sich brachte, wurden in kürzester Zeit beseitigt. Zwischen den ersten Entwürfen des neuen Rollers und dem ersten Prototypen hatten lediglich drei Monate gelegen. Im September 1945 stand der erste Roller-Prototyp mit Sachs-Motor zur praktischen Prüfung bereit.
Noch während der Erprobung des Piaggio-Rollers suchte man in Pontedera einen geeigneten Vertriebsweg. Zunächst versuchte man eine bekannte Marke in der florierenden Motorradindustrie zu finden, die bereit war, den ungewöhnlichen Roller in das Verkaufsprogramm aufzunehmen. Doch die Absagen häuften sich, und zum Schluss blieb nur noch Moto Guzzi als Handelspartner übrig. Doch auch Graf Parodi misstraute dem kleinen Zweirad und es kam keine Zusammenarbeit zustande. Nachdem Lancia ebenfalls abgewinkt hatte, nahm Enrico Piaggio den Vertrieb selbst in die Hand. Er begann eine wirkungsvolle Werbekampagne. Das Geld dafür holte er sich aus verschiedenen Quellen, die ihm eine Rückzahlung in Raten ermöglichten.
Erfolgreiche Werbung: Rennsiege!
Kaum ein Jahr später fuhr im Mai 1947 Carlo Masciocchi bei der Primi-Passi-Gleichmäßigkeitsprüfung des Mailänder Gentleman Moto Club mit seiner Vespa – trotz mehrerer Stürze – den zweiten Platz heraus. Die schwierige Wettfahrt führte vor allem durch das Südalpengebiet der Bergamasker Täler.
Nach diesen und einigen weiteren sportlichen Erfolgen von Privatfahrern und ihren Vespas begann man in Pontedera über den werkseitigen Einsatz der quirligen Zweiräder im Motorsport nachzudenken. Unter der Leitung des Testfahrers Dino Mazzoncini gründete man eine Rennabteilung. In den folgenden Jahren stürmten die Vespas von einem Rennsieg zum anderen, obwohl das Zweirad ja eigentlich für den Stadtverkehr konzipiert war. Vespas gewannen in Florenz, bei der Trofeo dei Laghi bei Neapel und belegten einen zweiten Platz bei der Trophäe der Industrie Italiens, die als Serie für Motorräder bis 500 Kubikzentimeter mit drei Rennen ausgefahren wurde.
Der größte Erfolg im Motorsport gelang Piaggio 1951. Es war die international ausgeschriebene Sechstagefahrt von Varese, die vom 8. bis 15. September stattfand. 218 Zweiräder starteten zu dieser anspruchsvollen Prüfung für Mensch und Maschine. Das Ziel erreichten lediglich 89 Maschinen ohne Strafpunkte, darunter waren neun der zehn gestarteten Vespa 98.
Vespa 98 (V.98), 1. Serie
Die Vespa 98, die im März des Jahres 1946 im Golfclub von Rom präsentiert wurde, war die erste Vespa, die für einen Preis von damals 55.000 italienischen Lire in das Verkaufsprogramm von Piaggio aufgenommen wurde. Bis 1947 wurden insgesamt 1399 Fahrzeuge dieser ersten Serie gebaut. Der Zweitaktmotor war bereits gebläsegekühlt und hatte eine Magnetzündung. Der Motor wurde mit einem Kickstarter angelassen. Geschaltet wurde das Dreigang-Getriebe mit einem Drehgriff am Lenker. Für das Kraftstoffgemisch sorgte ein Dell’Orto-Vergaser vom Typ T2 16/17-TA 17 mit einem 17-Millimeter-Durchlass. Der Tank fasste rund fünf Liter Gemisch 1:20. Die Räder mit der Größe 3,50 x 8 Zoll in der selbsttragenden Stahlblechkarosserie waren untereinander austauschbar. Gebremst wurde mit den beiden Trommelbremsen, die einen Durchmesser von 124 Millimetern hatten. Die 98 war die einzige Vespa mit rechts an der Schwinge geführtem Vorderrad und ohne Stoßdämpfer an der Triebsatzschwinge.
■ Vespa 98
Bauzeit: |
1946 und 1947 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
98 |
Leistung (PS bei 1/min): |
3,3 bei 4500 |
vmax in (km/h): |
60 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
Stahlblech, Einarmschwinge mit Spiralfeder vorn, Gummipuffer hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
60 |
Vespa 98 (V.98), 2. Serie
Die Vespa 98 der zweiten Serie gab es statt in den Karosseriefarben Grau und Amarantrot nur noch in Grau. Zunächst tat sich Piaggio schwer, seinen „Nutz-Leichtroller” an den Mann zu bringen. Die Kaufinteressenten waren sehr skeptisch, ob das skurril aussehende Zweirad mit dem Direktantrieb wirklich alltagstauglich sein würde. Erst mit der Zeit setzten sich die vielen positiven Eigenschaften des Motorrollers durch und führten zu einem Umdenken in der Bevölkerung. Die zweite Serie erhielt eine feine Überarbeitung in vielen Details. So hatte der Kickstarter nun eine gebogene Form, die Seitenverkleidungen ließen sich durch Zugknöpfe öffnen und schließen. Insgesamt wurden 15.680 Zweiräder dieser zweiten Modellreihe produziert.
■ Vespa 98
Bauzeit: |
1947 und 1948 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
98 |
Leistung (PS bei 1/min): |
3,3 bei 4500 |
vmax in (km/h): |
60 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
Stahlblech, Einarmschwinge mit Spiralfeder vorn, Gummipuffer hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
60 |
Vespa 98 Corsa
Die Vespa 98 Corsa war eine Variante, die ab dem Jahr 1947 im Motorsport Verwendung fand. Das Modell mit dem leistungsgesteigerten Motor war die erste Vespa, die bei Bergrennen und ähnlichen Veranstaltungen eingesetzt wurde, wo sie zahlreiche Siege einfuhr. Basis dieser ersten Rennversion war das Modell 98, das einen gebogenen Sportlenker und ein wesentlich schmaleres Beinschild bekam. Um größere Bodenfreiheit bei Schräglage in den Kurven und bessere Kühlung zu erreichen, wurde der Motor modifiziert. Er war als tragendes Element des Rollers konzipiert worden. Um so viel Gewicht wie möglich zu sparen, verschwand auch der Kickstarter. Die Corsa wurde angeschoben.
■ Vespa 98 Corsa
Bauzeit: |
1947 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
98 |
Leistung (PS bei 1/min): |
ca. 5 bei über 5000 |
vmax in (km/h): |
80 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
selbsttragend, Stahl-Spiralfeder vorn, Stahl-Blattfedern hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
rund 60 |
Vespa 125 Corsa Telaio in lega
Von der Vespa 125 Corsa mit dem modernen Renn-Chassis wurden nur sechs Exemplare gebaut. Sie besaß ein Rennchassis aus einer Aluminium-Legierung, die Piaggio aus der Flugzeugfertigung kannte. Alle Karosserieteile waren durch Nieten miteinander verbunden. Die Renn-Vespa startete bei vielen Rennen in Italien und feierte im Jahr 1950 einige wichtige Erfolge mit Giuseppe Cau und Dino Mazzoncini, die beim Bologna Grand Prix die ersten beiden Plätze belegten. Im gleichen Jahr konnte Cau mit der Vespa und der Startnummer 38 auch in Perugia gewinnen. Zu dieser Zeit war der hagere Vespapilot Cau, der in Rom lebte und in einer Werkstatt arbeitete, gerade einmal
20 Jahre alt und brachte lediglich 46 Kilogramm auf die Waage.
■ Vespa 125 Corsa Telaio in lega
Bauzeit: |
1949 und 1950 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
125 |
Leistung (PS bei 1/min): |
ca. 8 bei über 5000 |
vmax in (km/h): |
130 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
selbsttragend, Spiralfeder vorn, Gummipuffer hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
ca. 80 |
Die Idee vom Kleintransporter
Zeitgleich zur Vespa 98 erschien im Jahr 1947 ein weiteres sehr innovatives Gefährt aus dem Hause Piaggio: die Ape. Die fleißige „Biene“ war für die schweren Transportarbeiten im täglichen Leben gedacht. Die Idee war einfach: Die große Lücke bei den Nutzfahrzeugen, die der Zweite Weltkrieg geschlagen hatte, sollte durch einen preiswerten, kleinen Lastkraftwagen mit geringem Benzinverbrauch geschlossen werden.
Um diese Ur-Ape zu fertigen, griff Piaggio auf einen Trick zurück. Das Unternehmen entwarf kein komplett neues Fahrzeug, sondern bediente sich der Teile des neuen Zweirads, der Vespa 98. Diesem Fahrzeug verpassten die Techniker eine zweirädrige Hinterachse und eine Ladefläche. So entstand ein kleines dreirädriges Fahrzeug mit einer offenen Ladefläche und einer Nutzlast von 200 Kilogramm, die dazu geeignet war, Güter zum Kunden zu transportieren.
Eine stärkere Ape-Version
Im Jahr 1948 ergänzte das Ape-Modell A das Verkaufsprogramm von Piaggio. Der „Lastenesel“ bekam nun den Motor der 125er-Vespa, eine Viergang-Schaltung und zur offenen Pick-up-Version kam ein Aufbau als Kastenwagen hinzu. Ein Jahr später konnte man die Ape auch als „Giardinetta“ erwerben. Bei diesem Modell konnten zusätzlich zum Fahrer noch zwei Personen transportiert werden.
Ob große Industriekonzerne oder der einfache Handwerkerbetrieb, die Ape kam überall da zum Einsatz, wo ein unkompliziertes Wägelchen gebraucht wurde, um Waren von einem Punkt zum anderen zu transportieren.
Angetrieben wurde die Hinterachse über ein Differenzial, das mit zwei Ketten mit den Hinterrädern verbunden war. Gebremst wurde die Hinterachse bei der Ape über einen Fußbremshebel und das Vorderrad über einen Handbremshebel am Lenker. Die separate Feststellbremse blockierte das Differenzial. Gefedert wurde die Ape durch Stahlfedern am Vorderrad und Stoßdämpfer mit Torsionsstäben an der Hinterachse.
In dieser Variante blieb die Ape bis zum Jahr 1953 im Programm. Dann wurde sie von der stärkeren Ape B mit einem Hubraum von 150 Kubikzentimetern und höherer Nutzlast ersetzt.
Piaggio Ape A (A1T – A15T)
Die Ape 125 war die erste Ape von Piaggio und stand bei vielen Messen und Ausstellungen im Jahr 1947 im Mittelpunkt. Das Aussehen der Vorderfront glich der des Vespa-Motorrollers.
Die y-förmige Karosserie bestand aus Stahlblech und war selbsttragend. Die Ladefläche war aus Holzbrettern und konnte eine Nutzlast von 200 Kilogramm transportieren. Das Fahrzeug wurde als Pick-up und als Kastenwagen gebaut. Sein gebläsegekühlter Einzylinder-Zweitakt-Motor mit 124,79 Kubikzentimetern kam ebenfalls von der Vespa 125 und war unter dem Sattel untergebracht. Das Fahrzeug hatte ein Differenzial und zwei Ketten, über die die Hinterräder angetrieben wurden.
■ Piaggio Ape A
Bauzeit: |
1947 bis 1953 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
125 |
Leistung (PS bei 1/min): |
4 bei über 4500 |
Vmax in (km/h): |
40 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
selbsttragend, Stahl-Spiralfedern vorn, Drehstabfederung hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
125 |
Piaggio Ape B (AB1T – AB4T)
Die Piaggio Ape B, ebenfalls mit einfacher Ladefläche und 150 Kubikzentimetern Hubraum, kam im Jahr 1953 auf den Markt. Auch diese Version erinnerte noch stark an die Vespa. Inzwischen konnte man aus zahlreichen Varianten auswählen. Die einfachste Version war die Ape Pick-up mit offener Ladefläche.
Man konnte sie auch mit Kippfunktion bekommen. Außerdem gab es nun einen geschlossenen, festen Kofferaufbau und eine Ape mit Planen in verschiedenen Höhen. Auch eine geschlossene Kabine, die nur noch an den Seiten offen war, konnte geordert werden. Die Nutzlast des Kleintransporters hatte sich inzwischen auf 300 Kilogramm erhöht. Dieses Modell B wurde mit kleinen Änderungen bis 1956 gebaut.
■ Piaggio Ape B
Bauzeit: |
1953 bis 1956 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
150 |
Leistung (PS bei 1/min): |
5,5 bei über 5000 |
vmax in (km/h): |
55 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
selbsttragend, Stahl-Spiralfedern, Stoßdämpfer vorn, Drehstabfederung hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
ca. 130 |
Besser als die Vorgängerin: die Vespa 125
Mit nicht einmal 20.000 verkauften Vespas 98 hatte Enrico Piaggio sein Ziel bis 1948 nicht erreicht. Die Vespa war nur sehr zögerlich angenommen worden. Erst als im Jahr 1948 die stärkere, nur in Metallicgrün erhältliche Vespa 125 auf den Markt kam, änderte sich dies. In nur einem Jahr verkaufte Piaggio nun rund 35.000 Fahrzeuge.
Diese Entwicklung hing vor allem mit den vielen Verbesserungen an der Vespa 125 zusammen. Ein echter Fortschritt war der Komfort während der Fahrt. Waren bei der 98er noch Spiralfedern und Gummipuffer die federnden Elemente, hatte die Vespa 125 nun Schraubenfedern vorne und hinte wie ein echtes Motorrad. Auch der Schwingsattel war jetzt besser gefedert.
Durch den kräftigeren Motor mit einer Leistung von vier Pferdestärken waren auch die Fahrleistungen angestiegen. So erreichte der Roller nun eine Spitzengeschwindigkeit von nahezu 70 Stundenkilometern. Mittels eines Chokes im Vergaser, der mit einem unter dem Sattel befestigten Hebel bedient wurde, konnte der Vespa bei widrigen Wetterverhältnissen oder beim Kaltstart mehr Kraftstoff zugeführt werden.
Die erste Serie hatte wie die Vorgängerin keinen Seitenständer. Parkte man den Motorroller, lehnte man ihn lediglich mit dem Trittbrett rechts oder links auf den Boden.
Nur geringe Verbesserungen
Als im Jahr 1949 die Vespa 125 in einigen Punkten verbessert wurde, war es bereits abzusehen, dass dieses Zweirad ein großer Erfolg werden könnte und Piaggio wieder an die Spitze der italienischen Unternehmen führen würde.
Gegenüber der ersten Version war das Folgemodell lediglich an der Schaltgestängeführung, der Lüfterrad-Abdeckung sowie dem Auspuff mit dem rechteckigen Querschnitt und dem geänderten Rücklicht, das aus Glas bestand, zu erkennen.
Während das Vorgängermodell der Vespa 125 noch 118.000 Lire kostete, war die überarbeitete Serie bereits ein Jahr später 20.000 Lire teurer. Dieser Preisanstieg ließ die Verkaufszahlen jedoch nicht kleiner werden und bis zum Jahr 1950, dem Ende der Produktion der 2. Serie, sind insgesamt rund 52.000 Maschinen verkauft worden.
Vespa 125 (V1T), 1. Serie
Gegenüber der Vespa 98 hatte sich bei der Vespa 125 in Sachen Technik viel getan. Die selbsttragende Karosserie war nun mit Schraubenfedern vorn und hinten ausgestattet. Dadurch verbesserte sich der Fahrkomfort erheblich. Auch bei diesem Modell konnten die Räder mit einer Reifengröße von 3,50 x 8 Zoll untereinander ausgetauscht werden. Die Größe der Bremstrommeln hatte sich gegenüber der Vespa 98 nicht geändert. Durch den größeren Hubraum waren die Fahrleistung sowie Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit stark angestiegen.
■ Vespa 125
Bauzeit: |
1948 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
125 |
Leistung (PS bei 1/min): |
4 bei über 4500 |
vmax in (km/h): |
70 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
selbsttragend, Schraubenfeder vorn, Stoßdämpfer, Schraubenfeder hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
77,5 |
Vespa 125 (V2T/V14T), 2. Serie
Inzwischen hatte die Vespa 125 ihr Publikum gefunden und bereits ab 1949 gab es die ersten Verbesserungen bei dem Motorroller. Als eine der wichtigsten Änderungen im Rahmen der Modellpflege wurde die schwer schaltbare Gestängeschaltung durch eine einfachere Seilzugschaltung ersetzt.
In der Werbung setzte Piaggio auf neue Zielgruppen. Die Hauptgruppe, die neu erschlossen werden sollte, war das weibliche Geschlecht. Slogans wie „Sie ist kein Motorrad, sondern vielmehr ein kleines Auto auf zwei Rädern” oder „Man kann sie auch im Winter fahren, denn man ist vor Straßenschmutz geschützt“ waren wichtige Argumente, mit denen man diese Zielgruppe erreichen wollte. Dazu wurden in der Werbung häufig Frauen als Fahrerinnen gezeigt.
■ Vespa 125
Bauzeit: |
1949 bis 1950 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
125 |
Leistung (PS bei 1/min): |
4 bei über 4500 |
vmax in (km/h): |
70 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
selbsttragend, Schraubenfeder vorn, Stoßdämpfer, Schraubenfeder hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
77,5 |
DIE 1950ER-JAHRE DIE VESPA EROBERT DIE WELT
Der Name „Vespa“ war inzwischen weltweit bekannt und hatte in der Zweiradindustrie der Nachkriegsjahre für erhebliches Aufsehen gesorgt. Als in den 1950er-Jahren die Kaufkraft der Europäer wuchs, begann sich Piaggio klar von der Konkurrenz, die immer noch auf das Motorrad setzte, abzugrenzen. In der Werbung wurde der Roller bald als Spaßfahrzeug angepriesen. Vor allem die weibliche Zielgruppe sollte für das neue Gefühl der Freiheit bei einer Fahrt auf dem Vespa-Roller gewonnen werden.
Als Anfang der 1950er-Jahre die Vespa 98 aus dem Programm genommen wurde, konzentrierte sich Piaggio auf die neue Vespa 125. Zu dieser Zeit war in Europa ein regelrechter Motorroller-Boom ausgebrochen. Die Vespa wurde immer beliebter und nicht mehr nur für die Fahrt zur Arbeit oder für Einkäufe genutzt.
Auch in ihrer Freizeit fuhren mehr und mehr Zweiradfans Vespa. Durch das „Wirtschaftswunder“ und die daraus resultierende große Kaufkraft war es den Menschen nun möglich, nach langen Jahren der Entbehrung auch Dinge für den reinen Spaß zu kaufen. Diese Chance konnte sich ein Unternehmen wie Piaggio nicht entgehen lassen.
Doch auch die anderen Motorrad-Hersteller versuchten jetzt in den rasch wachsenden Markt einzusteigen und in ihrem Programm die Lücke der in Mode gekommenen Zweiräder mit Verkleidung zu schließen. Aber der Vorsprung der Vespa mit der Stahlblechkarosserie war so groß, dass kaum ein Unternehmen den Italienern zu Anfang Paroli bieten konnte.
Als die neue Variante der Vespa 125 in Mailand vorgestellt wurde, hielt sie gegenüber den 98er-Modellen viele Neuerungen parat. Durch den größeren Hubraum brachte sie eine Leistung von einem halben PS mehr mit, was zusammen mit den Stoßdämpfern mit Schraubenfedern ein vollkommen neues, besseres Fahrgefühl bot. Zwar wurde die Vespa immer noch per Hand mit einem Drehgriff am Lenker geschaltet, doch wurde das starre Schaltgestänge durch Bowdenzüge abgelöst, die das Schalten der drei Gänge wesentlich erleichterten.
Für sportlich Ambitionierte bot Piaggio eine schnellere 125-Version mit 7 PS an. Das Zweirad war dadurch fast 100 km/h schnell. Ab 1953 war die 125er auch als günstiges Zweirad mit der Bezeichnung „Utilitaria“ zu beziehen. Der Preis betrug 130.000 Lire. Das waren ca. 30.000 Lire weniger als bei der Standardausführung.
Im Jahr 1954 gesellte sich zur 125er die Vespa 150 hinzu. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gehörte der Roller bereits zu den schnellen Zweirädern dieser Zeit und durfte nun auch auf den Autobahnen Italiens gefahren werden. Wie bei der Vespa 125 gab es auch bei der 150er während der 1950er-Jahre zahlreiche Varianten. Mit der Einführung der 150 GS zwei Jahre später erreichte das erste Mal eine Vespa im Alltagsbetrieb die „100-km/h-Schallmauer“.
Im Jahr 1956 zählte Piaggio erstmalig eine Motorroller-Produktion von 221.000 Fahrzeugen und stieg damit an die Spitze der weltweiten Zweiradhersteller. Dabei spielte sicherlich auch eine gezielte und gut durchdachte Werbestrategie, wie der Piaggio-Kalender, der erstmalig 1951 aufgelegt wurde, eine große Rolle. Weitere Marketingmaßnahmen wie Ein-Jahres-Garantie, Ratenkauf und kostenlose Zulassung unterstützten diesen großen Erfolg. Zwei Jahre zuvor war der Preis für die 125er-Vespa bereits um rund 20.000 Lire gesenkt worden.
Audrey Hepburn
Auch die damaligen Stars der 1950er-Jahre hatten den Motorroller aus Italien für sich entdeckt. In der Filmromanze mit dem deutschen Titel „Ein Herz und eine Krone” aus dem Jahr 1953 fuhren Audrey Hepburn und Gregory Peck mit einer Vespa durch Rom.
Griff zu den Sternen – Weltrekorde
Es verging kaum ein Monat, in dem sich Anfang der 1950er-Jahre das italienische Unternehmen Piaggio nicht mit Erfolgen im Motorsport brüsten konnte. Doch mit diesen Siegen gaben sich die Italiener nicht zufrieden und bald begann man, dem Konkurrenten Lambretta den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Auf der Autobahn zwischen Rom und Ostia stellte Piaggio 13 Rekorde auf. Kurz danach, am 6. April 1950, hatten die italienischen Techniker unter der Leitung der Ingenieure Carlo Carbonero und Vittorio Casini einen weiteren Hochgeschwindigkeits-Prototyp mit Vollverkleidung für neue Rekordversuche auf die Räder gestellt. Damit ging es im April zur französischen Rennstrecke von Montlhéry. Innerhalb von zehn Stunden erreichte das Team mit den Fahrern Castiglioni, Mazzoncini und Spadoni trotz eines böigen und starken Windes 17 Rekorde.
Mit diesen Siegen begnügten sich die italienischen Ingenieure jedoch nicht. Kaum wieder in der Heimat angekommen, begannen sie ein weiteres Rekordfahrzeug, die „Siluro“ mit einer torpedoförmigen Aluminiumkarosserie, zu bauen. Es entstand ein Zweirad, das mit der gewöhnlichen Vespa nichts mehr gemeinsam hatte. Der Zweitakter hatte zwei Zylinder, die wie bei einem Boxermotor angeordnet waren. Eine Wasserkühlung sorgte dafür, dass der Motor nicht überhitzte. Das Alkohol-Öl-Gemisch wurde über zwei Vergaser des Typs Dell’Orto SSI 23 in die Brennräume der Zylinder befördert.
Am Morgen des 9. Februar 1951 trafen das Rekordfahrzeug sowie ein Ersatzfahrzeug zwischen Kilometer zehn und zwölf auf der Autobahn von Rom nach Ostia ein. Für den Versuch stand nur ein Durchgang zur Verfügung, da die Strecke danach für den öffentlichen Verkehr wieder freigegeben werden sollte.
Rekorde in Montlhéry am 6. 4. 1950
50 Kilometer |
134,203 km/h |
100 Kilometer |
134,733 km/h |
500 Kilometer |
123,463 km/h |
1000 Kilometer |
124,306 km/h |
50 Meilen |
134,573 km/h |
100 Meilen |
127,777 km/h |
500 Meilen |
123,919 km/h |
1 Stunde |
134,054 km/h |
2 Stunden |
130,794 km/h |
3 Stunden |
125,713 km/h |
4 Stunden |
123,376 km/h |
5 Stunden |
124,065 km/h |
6 Stunden |
124,636 km/h |
7 Stunden |
124,056 km/h |
8 Stunden |
124,274 km/h |
9 Stunden |
123,434 km/h |
10 Stunden |
123,537 km/h |
Fahrer Dino Mazzoncini fuhr den Durchgang auf der holprigen Strecke mit einer Spitzengeschwindigkeit von 174,418 km/h. Für den Rücklauf erreichte er 169,910 km/h. Das machte einen Durchschnitt von 171,102 km/h und war absoluter Geschwindigkeitsrekord. Doch bereits zwei Monate später holte sich Dauer-Konkurrent Lambretta den Rekord auf einer Rennmaschine mit Kompressor zurück. Eine Kopie der Vespa-Rekordmaschine befindet sich noch heute im Nationalmuseum für Wissenschaft und Technik „Leonardo da Vinci“ in Mailand.
Vespa-Akrobatik
Im Jahr 1955 gründete Piaggio auch ein Akrobatik-Team auf der Vespa, das vor allem aus Werksfahrern bestand. Die Fahrkünste dieser Mannschaft wurden vor allem bei der Präsentation neuer Modelle gezeigt. Die schwierigste Figur waren fünf Fahrer gegen und drei Fahrer in Fahrtrichtung auf einer Vespa.
Interesse auch im Ausland
Auch im Ausland wollte der Zweiradfahrer auf die italienische Vespa nicht mehr verzichten. Zuerst reichte es noch, den Bedarf durch Importe aus Italien zu decken. Doch die Nachfrage, vor allem in Europa, stieg stetig an, sodass sich einige Firmen dazu entschlossen, die Vespa in Lizenz zu fertigen.
Einer der ersten Lizenznehmer für den Motorroller war die Firma Hoffmann in Lintorf bei Düsseldorf. Jakob Oswald Hoffmann hatte seine Unternehmertätigkeit mit der Produktion von Fahrrädern begonnen und inzwischen über 150.000 Räder gebaut. Um 1949 fing er an, auch verschiedene Motorräder mit 98 bis 250 Kubikzentimetern Hubraum herzustellen. Ab 1950 bekam er zudem eine Lizenz zur Produktion der Vespa. So entstand die Hoffmann Vespa Modell HA, die zwischen 1950 und 1954 gefertigt wurde. Dafür errichtete Hoffmann ein neues Werk. Schon vor Vollendung der Werkshallen war die Jahresproduktion 1950 komplett ausverkauft! Auch im Jahr 1951 war die Produktion mit 8343 Vespas bald ausverkauft und 1952 baute das Lintorfer Werk bereits 11.801 Roller.
1953 kam das Modell HB hinzu. Die Karosserie war gleich geblieben, lediglich das hakelige Schaltgestänge war einem Bowdenzug gewichen. Die gesamte Produktion belief sich auf 15.295 Vespa-Roller. Inzwischen hatte sich jedoch der Geschmack der Kunden geändert. Leistungsstärkere Roller mit viel Chrom waren gefragt und Hoffmann versuchte dies dem Kunden auch zu bieten. So brachte das Unternehmen im Herbst 1953 das Sondermodell „Königin“ mit 5 PS, viel Chrom und verschiedenen Sonderfarben auf den Markt. Doch mitten in der Aufbruchstimmung mit stetig steigenden Verkaufszahlen kündigte Piaggio zehn Monate nach der Präsentation der „Königin“ den Lizenzvertrag mit Hoffmann. In der Anhebung der PS-Leistung sah Piaggio eine starke Rechtsverletzung des Vertrags. Bereits im November standen die Hoffmann-Werke Lintorf vor dem Konkurs.
Die Militär-Vespa
Ein Unikum in der langen Vespa-Geschichte war sicherlich die bei A.C.M.A. produzierte Militärversion. 1953 hatte das französische Heer beschlossen, seine veralteten Cushman-Roller aus den USA zu ersetzen. Es kam zu einer öffentlichen Ausschreibung für ein vergleichbares, jedoch moderneres Fahrzeug. Außer Piaggio mit seiner Vespa 150 versuchten noch zwei weitere Bewerber die Ausschreibung für sich zu gewinnen, doch die Vespa gewann. Ab 1956 begann die Produktion der TAP 56 (Truppe Avio Portate oder auf Deutsch „Luftlandetruppen“). Die Militärversion wurde rund 500-mal gebaut und kam in Indonesien und in Algerien zum Einsatz.
Ein weiterer Lizenznehmer der ersten Stunde war der namhafte Zweiradhersteller Douglas aus Kingswood bei Bristol in Großbritannien. Auf das italienische Zweirad mit der Karosserie war Claude McCormack in seinem Italienurlaub im Jahr 1948 aufmerksam geworden. Die Vespa gefiel ihm so gut, dass er kurz danach die Lizenzverhandlungen für England mit Piaggio aufnahm. 1951 begann die Produktion der Douglas Vespas. Als die Fertigung im Jahr 1965 endete, hatte Douglas 126.230 Fahrzeuge gebaut.
Auch in Frankreich begann im Jahr 1951 die Fertigung der Vespa in Lizenz. Gebaut wurde das Zweirad in den „Ateliers de Construction de Motocycles et Accessoires (A.C.M.A.)“ in der französischen Stadt Fourchambault. Fourchambault war ab 1957 auch der Produktionsstandort des Vespa-400-Kleinwagens, von dem 30.000 Stück gebaut wurden. Die Produktion in Frankreich lief im Jahr 1958 nach 294.773 gebauten Motorrollern aus.
Auch den Belgiern hatte es die „italienische Diva“ angetan, und die MISA-Werke in Jette schlossen 1954 einen Vertrag über den Lizenzbau der Vespa mit Piaggio ab. 1962 endete die belgische Lizenzfertigung. Spanien gesellte sich im Jahr 1956 zu den Vespa-Lizenznehmern. Die Fertigung in Spanien lief bis in die 1970er-Jahre. Im Jahr 1956 sprang auch die Sowjetunion auf den Vespa-Boom auf und fertigte die Viatka 150 in Kirov. Das Zweirad sah zwar wie eine Vespa aus, war jedoch keine Lizenzproduktion, sondern wurde einfach nur eher schlecht kopiert.
Auch Indien hatte Anfang der 1960er-Jahre Interesse an der Vespa. Schnell war man sich mit Piaggio über einen Lizenzvertrag einig und begann 1961 mit der Fertigung des Motorrollers in dem Unternehmen Bajaj Auto in Poona in der Nähe von Bombay. Ab 1972 baute das Unternehmen die Vespa selbstständig weiter, ab 1974 unter dem Namen „Chetak“. Da der indische Markt überdimensional groß ist, dauert die Fertigung der Vespas aus den 1970er-Jahren bis heute an.
Ape mit Dach und ein richtiger Kleinwagen
Nachdem die Ape mit großem Erfolg in ein neues Marktsegment gestartet war, wurde das Dreirad für das Produktionsjahr 1956 gründlich überarbeitet. Das Nutzfahrzeug bekam nun eine richtige Karosserie aus Blech und eine Sitzbank, auf der zwei Personen nebeneinander Platz fanden. Zusätzlich war die Ape C nun mit einem Rückwärtsgang und einem elektrischen Anlasser ausgestattet. Die Nutzlast des kleinen Arbeitstiers war auf 350 Kilogramm gestiegen. Zwei Jahre später wurde die Ape nochmals überarbeitet und erhielt die Bezeichnung Ape D. Im Jahr 1957 ließ Piaggio die Fachwelt aufhorchen, als das Unternehmen zum Pariser Autosalon den Vespa 400 präsentierte. Vor allem Fiat war nicht gerade erfreut darüber, dass so plötzlich eine Konkurrenz für den vier Monate zuvor vorgestellten Fiat 500 auf dem stark umkämpften Kleinwagenmarkt erschien.
Der vierrädrige Kleinwagen war komplett bei Piaggio entwickelt worden und sollte bei A.C.M.A. in Frankreich gebaut werden. Alle vier Räder waren einzeln aufgehängt und so hatte der Zweisitzer mit dem Rolldach eine ausgezeichnete Straßenlage. Der luftgekühlte Heckmotor mit 393 Kubikzentimetern und zwei Zylindern mit einer Leistung von 20 PS reichte für eine Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h. Bis zum Produktionsende im Jahr 1961 wurden insgesamt 30.076 Vespa 400 gebaut.
Vespa 125 (V15T), 3. Serie
Die dritte Serie der ersten Vespa-125-Variante kam noch im Jahr 1950 auf den Markt. Von der ebenfalls in Grünmetallic gehaltenen Vespa wurden 17.000 Fahrzeuge in diesem einen Jahr der Produktion gebaut. Der Stückpreis betrug nun 154.000 Lire. Die Technik entsprach den Serien davor. Lediglich die Karosserie wies einige Unterschiede auf. So war sie nicht mehr mit Rippen verstärkt und die Seiten waren komplett glatt. Der Frontscheinwerfer saß zwar immer noch auf dem vorderen Kotflügel, war jedoch nicht mehr genietet, sondern geschraubt. Der zweiarmige Hauptständer hatte nun am Ende der Arme schwarze Gummifüße erhalten.
■ Vespa 125
Bauzeit: |
1950 |
Motorbauart: |
luftgekühlter 1-Zylinder-2-Takt-Motor |
Hubraum (cm3): |
125 |
Leistung (PS bei 1/min): |
4 bei über 4500 |
vmax in (km/h): |
70 |
Rahmen, Federung, Bremsen: |
selbsttragend, Schraubenfeder vorn, Stoßdämpfer, Schraubenfeder hinten, Trommelbremsen |
Gewicht (kg): |
77,5 |
Vespa 125 (V30T und V33T), 1. Serie